KONGRESS & INSZENIERUNG


DONNERSTAG, 12. MAI 2011


Vinciane Despret

PARLER AVEC LES MORTS
Vortrag (Französisch mit Simultanübersetzung)
17.00 - 18.00 Uhr, Krankenhaus

Menschen haben immer wieder neue Wege gefunden, mit ihren Toten in Kontakt zu bleiben: durch Bilder, Filme und Bücher, aber auch in individuellen Formen der Trauer, die kein Bedauern formulieren, sondern sich als Anrufung direkt an die Verstorbenen wenden. Die Psychologin und Professorin für Philosophie Vinciane Despret hat die Konstruktion dieses Verhältnisses ausführlich erforscht. Eine große Herausforderung war dabei, eine Sprache zu finden, die weder den Lebenden zu viel Aktivität zuschreibt (als sei der Kontakt zu den Toten allein Produkt der Vorstellungskraft) noch den Toten (als existierten sie autonom). In ihrer an Kunstpraktiken orientierten Feldforschung versucht sie, Totengeister auch in Romanen, TV-Serien oder bei Besuchen von Spiritisten aufzuspüren. Das «Leben der Toten», so Despret, verändert und bereichert - durch einen Zuwachs an Realität - das Leben der Lebenden.

 

Zoe Laughlin
THE WONDER OF FLESH 
AND THE BRILLANCE OF BLOOD
Lecture Performance (Englisch)
17.00 - 18.00 Uhr, Labor

Sägen, bohren, schneiden, nähen, genießen - all das und mehr lässt sich mit Fleisch, Knochen, Haut und Haaren anstellen, und in ihrer Performance «Flesh» lud Zoe Laughlin das Publikum ein, es auch ganz praktisch zu tun. In Hamburg wird die englische Künstlerin eine neue Lecture Performance präsentieren, auch diese als «Feier des Materials». Diesmal geht es um Stoffe, die die Grenzen zwischen dem Belebten und Unbelebten, dem Materiellen und Immateriellen verwischen. Von Knochenimplantaten zu synthetischer Haut haben jene Materialien ihren großen Auftritt, die in intimer Beziehung zum Körper stehen. Das «Wunder des Fleisches» und die «Brillanz des Blutes» spielen ebenfalls eine Rolle. Und wie nebenbei lässt die Leiterin des «Institute of Making» das Publikum die Verbindung zwischen Mensch, Medizin und Kultur ganz neu denken.

 

Christopher Coenen & Michael Liss
SYNBIO: BIOLOGIE ALS INGENIEURSWISSENSCHAFT
Gespräch
17.00 - 17.45 Uhr, Friedhof

Unter dem Banner der Synthetischen Biologie (SynBio) schicken sich Life Sciences und Biotechnologie an, Leben nicht nur technisch zu verändern, sondern auch nachzubauen und neu zu schaffen. Biologie soll zu einer Ingenieurswissenschaft werden, deren nutzbare Artefakte mittels rationalen Designs entstehen. Diese Entwicklung geht mit einer breiten Ethikdiskussion auf Regierungsebene einher, und national wie international mobilisieren zivilgesellschaftliche Organisationen gegen SynBio. Doch was verändert SynBio tatsächlich? Welche Begriffe des Lebens liegen ihr zugrunde? Lassen sich ihre Produkte als «untot» begreifen? Wie stehen SynBio-Visionen zu popkulturellen Zukunftsbildern künstlichen Lebens? Michael Liss von der Firma Gene Art / Life Technologies diskutiert mit Christopher Coenen vom Karlsruher Institut für Technikfolgenabschätzung.

 

Aubrey de Grey
THE END OF AGING
Vortrag und Gespräch mit Cornelius Borck
(Englisch mit Simultanübersetzung)
18.10 - 18.55 Uhr, Krankenhaus

Den Alterungsprozess als Todesursache auszuschließen, scheint ein ebenso alter wie unerfüllbarer Menschheitstraum. Doch gibt es zwei Fakten, die dafür sprechen. Erstens altern wir ständig, leiden darunter aber nur in der zweiten Lebenshälfte. Das bedeutet, dass wir nicht das Altern als solches verhindern müssen, sondern allein den körperlichen Verfall durch molekulare und zelluläre Erneuerung aufhalten. Zweitens vollziehen sich technologische Entwicklungen meist exponentiell, so dass sie sich innerhalb einer Lebensspanne vollkommen verändern können. Aubrey de Grey stellt Therapien vor, die einen baldigen Anstieg der Lebenserwartung um 30 Jahre ermöglichen sollen und erläutert, wie die Progression dieser Therapien es erlauben wird, unendlich von ihren Fortschritten zu profitieren - und somit altersbedingtes Sterben auszuschließen. Im Anschluss diskutiert der theoretische Biogerontologe mit dem Medizinethiker Cornelius Borck.

 

Julia Peiffer
SONNTAGSHÄNDE UND SUPERKRÜPPEL -
ZUR AUSBAUFÄHIGKEIT DER HUMANEN PHYSIS
Vortrag
18.10 - 18.40 Uhr, Labor

Im und nach dem Ersten Weltkrieg spielte die Prothesentechnik eine wichtige Rolle dabei, die Verwundungen des Krieges zu maskieren und die Kriegsversehrten wieder in Arbeitsprozesse zu integrieren. Diese reparierten Männerkörper wurden im Dienst einer patriotischen Machbarkeitspropaganda exzessiv thematisiert und ausgestellt. Gleichzeitig verweisen sie auf ein Paradox, denn sie exponieren einen Verlust, einen Mangel, indem sie ihn ausfüllen. Die über Körperdesign forschende Kulturwissenschaftlerin Julia Peiffer beschreibt den prothetisch reparierten Körper im 20. und im 21. Jahrhundert als einen notorischen Unruheherd: eine Projektionsfläche nationaler Phantasmen und ein Ort der Verhandlung von Fragen der Normalität, Gesundheit und Natürlichkeit.

Hossein Solhdju & Katrin Solhdju
ÜBERLEBENDE ORGANE
Gespräch
18.20 - 19.05 Uhr, Friedhof

Im Dezember 1967 gelang Christiaan Barnard in Kapstadt die weltweit erste Herztransplantation. In Reaktion darauf legte eine Ad-hoc-Kommission in Harvard die erste Definition des «Hirntodes» vor. Die bis dato gültigen Grenzbestimmungen zwischen Leben und Tod gerieten ins Wanken. Nicht nur Mediziner, vor allem Theologen und Philosophen entwickelten Fragen, die auch in den Krankenhäusern spürbar Einfluss entfalteten und bis heute kontrovers diskutiert werden. Hossein Solhdju war 1968 Anästhesist bei der ersten deutschen Herztransplantation in München. Die Operation dauerte mehr als 24 Stunden und missglückte trotz aller Anstrengungen. Mit seiner Tochter, der Kulturwissenschaftlerin Katrin Solhdju, diskutiert der spätere Chefarzt der Intensivmedizin, ob es sich beim Hirntod um ein nachprüfbares Faktum handelt oder um eine biopolitische Setzung.

 

Jutta Brückner
IM ZWISCHENREICH DER GEISTER
Film und Installation
18.10 - 19.10 Uhr, Cinema

1973 drehte Jutta Brückner mit «Tue recht und scheue niemand» einen Film über das Leben ihrer Mutter. «Wie man leben soll, weiß man, wenn es vorbei ist», sagte die damals 60-Jährige. Heute lebt sie in einem Pflegeheim, leidet an Alzheimer und erkennt ihre Tochter nicht mehr. Zwei Jahre lang war die Demenz jedoch ein Dasein auf der Schwelle, ein Nicht-mehr/Noch-nicht, das die einfache Abfolge von Leben und Tod unterläuft. Ein Zwischenreich der Geister. Die Entgrenzung, die ihre Mutter zu dieser Zeit in ihren Halluzinationen betrieb, hatte mehr mit Selbstbestimmung zu tun als vieles in früheren Jahren ihrer Existenz, sagt Jutta Brückner heute. Sie reflektiert in ihrer Präsentation das Medium Film als modernen Friedhof der Bilder, der gleichzeitig Medium der Reinkarnation ist.

 

Cornelius Borck
TOYS ARE US - MODELLE DES MENSCHEN
Vortrag
19.10 - 19.55 Uhr, Krankenhaus

Die These, dass der Mensch eine Maschine sei, hat eine lange Geschichte. Denn technische Innovationen brachten neue Denkmodelle des Menschen: Der Körper läuft wie ein Uhrwerk und verbrennt Energie wie eine Dampfmaschine, Nerven leiten Signale wie ein Telegraphensystem, und eine Telefonzentrale veranschaulicht, wie das Gehirn die Antwort auf Sinnesreize findet. Im 20. Jahrhundert war es vor allem der Computer, der ebenso zum Abbild wie auch zum Vorbild des Menschen erklärt wurde. Daraus entstand ein regelrechtes Wettrennen zwischen Mensch und Maschine. Inzwischen haben die Menschen zweimal verloren, zuerst 1997, als Deep Blue gegen Gary Kasparov im Schachspiel gewann, und jetzt wieder, als der neuere IBM-Computer Watson seine menschlichen Kontrahenten in der Spielshow Jeopardy besiegte. Ist das Spiel also aus?

 

Dorothee Wenner & Husseini Shaibu
GHOSTLY BLISS: THE COMMERCIAL POWERS
OF DARKNESS IN NOLLYWOOD
Gespräch (Englisch)
19.10 - 19.55 Uhr, Labor

«Living in bondage» gilt als der Film, der die Nollywood-Filmindustrie vor 20 Jahren zum Laufen brachte. Geleitet von nichts als Gier verwandelt sich der Protagonist in einen bösen Geist - und löst damit eine ganze Produktionswelle von Geisterfilmen aus, die Lagos zur Hauptstadt einer der größten Filmnationen der Welt machte. Die Nollywood-Spezialisten Wenner und Shaibu, beide Jurymitglied der African Movie Academy Awards, stellen mit vielen Filmbeispielen die Erfolgsgeschichte der Verbindung von traditionellem Glauben und modernen Medien in Nigeria vor. Titel wie «Haunted» oder «Mad Ghost» versprechen Einblick in die klassische Unterhaltungswelt Nollywoods, während neuere Produktionen wie «The Figurine» und «Aramotu» zeigen, wie Geister und spirituelle Kräfte sich erfolgreich den Herausforderungen des heutigen Lebens stellen.

 

Oron Catts
SEMI-LIVING SCULPTURES
BioArt Präsentation und Gespräch mit Karin Harrasser (Englisch)
19.20 - 20.00 Uhr, Cinema

Wie weit kann man einen Körper fragmentieren bis er kein Körper mehr ist? Wie sehr kann man ein Leben strecken bis es kein Leben mehr ist? Oron Catts und Ionat Zurrs «Tissue Culture and Art Project» befasst sich seit 1996 mit solchen Fragen des «Halblebendigen». Es beschreibt Lebensformen in einem Zwischenzustand, der aus der Züchtung von Körperteilen unter künstlichen Bedingungen resultiert. Das «Untote» der Synthetischen Biologie ist schon lange integraler Bestandteil dessen, was wir allgemein als Leben definieren. In gewisser Weise lebendig, jedenfalls sicher nicht tot, sind diese Wesen nicht länger Teil des Körpers, zu dem sie ursprünglich gehörten. Noch einmal komplizierter werden die Definitionen durch die Vorstellung, dass sie wie ein Schleimpilz einen neuen Körper konstituieren könnten oder sogar abwandern und sich anderen Körpern anschließen.

Joseph Vogl & Philipp Ekardt
DAS GESPENST DES KAPITALS
Gespräch
20.05 - 20.50 Uhr, Krankenhaus

Geld stirbt nicht. Joseph Vogls kürzlich erschienenes Buch «Das Gespenst des Kapitals» legt nahe, dass sich das Nachdenken über Fragen moderner Geldwirtschaft regelmäßig mit untoten Figuren konfrontiert sieht, ja, dass es diese vielleicht sogar hervorbringt. Nach kritischer Revision der Wirtschaftsliteratur der vergangenen drei Jahrhunderte attestiert der Literaturwissenschaftler den Finanzökonomien, sich in eine «irdische Unaufhörlichkeit» begeben zu haben. Vielleicht also in einen zombieartigen Zustand untoten Lebens? Wie interveniert aktuelle Finanzökonomie als «Vitalpolitik», wo durchziehen die Geldströme das Reich der Walking Dead? Im Gespräch mit dem Literaturwissenschaftler Philipp Ekardt gibt Vogl Auskunft über die Geister, Gespenster und wandelnden Toten, auf die er in seinen Lektüren und Analysen unserer Gegenwart gestoßen ist.

 

Andy Miah
TRANSHUMANISM AND TECHNO ETHICS
Vortrag (Englisch mit Simultanübersetzung)
20.05 - 20.50 Uhr, Friedhof

Der Transhumanismus geht davon aus, dass die menschliche Evolution durch eine symbiotische Beziehung zwischen Natur und Technologie bestimmt ist. Diese Synthese gewinnt immer mehr an Bedeutung, da die Menschheit sich auf die fortschreitende Vergiftung der Erde vorbereiten muss und möglicherweise sogar auf die Notwendigkeit, andere Planeten zu besiedeln. Andy Miah, Direktor des schottischen Creative Futures Research Centre, stellt die Grundlagen des Transhumanismus vor und demonstriert, wie die Menschheit ihre Biologie immer stärker auf Perfektionierung ausrichtet. Die Verheißungen und Gefahren der Erschaffung perfekter Menschen sind ebenso Thema wie die Neudefinition der menschlichen Natur durch Wissenschaft, Technologie und Medizin. Logische Konsequenzen dieser conditio posthumana wären ewiges Leben und übermenschliche Fähigkeiten.

 

Drehli Robnik
TOTE KÖRPER TANZEN ANDERS: ZOMBIES IN DER POPMUSIK
Präsentation
20.15 - 20.45 Uhr, Cinema

Ein Bouquet hirnloser Hörproben zur Insistenz von Untoten mit Z in der Popmusik seit 1964 (lange vor Witch House und Zombie Rave). Von The Zombies und Monochrome Set bis Zombie Nation, von Roky Ericson und Georg Danzer bis zu Tocotronics «Tag der Toten». Der Musikzombie: Mal übt er beißende Öko-Kritik, mal steht er als Sinnbild mit Kante für jene, die nicht zählen, mal wankt er synkopiert durch Swinging London oder mit der Behauptung «Sick is the new healthy» über den Tanzboden.

 

Andreas Zieger
DIE TODESPOLITIK DER MODERNEN MEDIZIN
Vortrag und Gespräch mit Martina Keller
21.00 - 22.00 Uhr, Krankenhaus

Die biotechnisch-medizinische Definition des Hirntods als Todeskriterium ist so dominant, dass andere Sichtweisen ignoriert werden. Dabei gibt es an diesem Todeskonzept Zweifel - nicht zuletzt mit Blick auf die Transplantationsmedizin, die dank des Hirntodkriteriums lebendfrische Organe explantieren kann. Das menschliche Leben darf jedoch nicht der Deutungsmacht einzelner Interessengruppen überlassen werden, fordert Andreas Zieger, Leiter der Station für Schwerst-Schädel-Hirngeschädigte am Ev. Krankenhaus Oldenburg: Anstelle mechanistischer Objektivierungen sollte es auch in der Medizin darum gehen, in vermeintlichen Zonen des Todes - etwa dem Wachkoma - nach dem Leben zu suchen, um ihm einen Wert zurückzugeben. Nach einer Einführung spricht Zieger mit Martina Keller, Autorin des Buchs «Ausgeschlachtet. Die menschliche Leiche als Rohstoff».

 

Marijs Boulogne
THE ANATOMY LESSON - A FORENSIC FAIRYTALE
Performance (Englisch)
21.00 - 22.00 Uhr, Labor

In ihrer Performance «The Anatomy Lesson» beschreibt die belgische Künstlerin Zerfall und Reparationsprozesse des Körpers auf ungewöhnliche Weise. Ihr Patient ist ein Baby aus Fäden. Gehäkelt und gestickt liegt der Homunculus auf dem Seziertisch, ausgestattet mit Gedärmen, Muskeln und Knochen. Mithilfe eines Endoskops reist Boulogne durch den menschlichen Dummy, immer tiefer in Fragen nach Leben und Tod, Schönheit und Befreiung, auf der Suche nach dem Göttlichen im Material. Ihre Rolle in diesem forensischen Märchen changiert zwischen distanzierter Chirurgin und liebender Mutter. Der Besucher des interaktiven Anatomie-Theaters wird Zeuge eines mythischen Zyklus von Tod, Geburt und Sterben und einer philosophisch-künstlerischen Grenzüberschreitung bizarrster Art.

 

Jae Rhim Lee
CORPSE DECOMPICULTURE
Lecture Performance (Englisch)
21.00 - 21.30 Uhr, Cinema

Die Künstlerin und Designerin entwickelt ihre Arbeiten in Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Formen der Todesverleugnung. Ihr «Infinity Burial Project» propagiert einen radikal alternativen Umgang mit dem toten Körper und liefert ökologische Modelle der Leichenzersetzung zum individuellen Gebrauch. Die von ihr entwickelte Methode des «Corpse Decompiculture» kultiviert Pilze und andere Organismen, die menschliches Gewebe gleichwie Leichengifte putrifizieren. Teil des vorgestellten Projekts sind auch ein Dekompositions-Kit mit den notwendigen Zersetzungsstoffen sowie selbst entworfene Beerdigungsanzüge mit Bioaktivatoren. Derzeit ist Lee Research Fellow am Massachusetts Institute of Technology (MIT).

 

Sandy Stone
PERFORMING FUTURE THEORY
Lecture Performance (Englisch mit Simultanübersetzung)
21.15 - 22.00 Uhr, Friedhof

Die Aktivistin, Künstlerin, Theoretikerin und Performerin Sandy Stone improvisiert zu Fragen des Verhältnisses von medizinisch-technischer Modifikation des Körpers und Sterblichkeit. Thematisiert werden die Machbarkeit von Geschlecht und die Anwesenheit des Unheimlichen in technischen Welten. Ihre autobiografische Performance führt in die Transgender-Welt der neunziger Jahre und in mögliche Zukünfte und Gegenwarten der Cyborg.