KONGRESS & INSZENIERUNG

Der Kongress "DIE UNTOTEN - LIFE SCIENCES & PULP FICTION" fand vom 12. bis 14. Mai 2011 statt.

Der Kongress war ein Ort der Begegnung zwischen verschiedenen Personen und Redeweisen, die aktuell definieren, was noch/schon lebendig und was noch/schon tot ist. Der Bereich dazwischen, eine unübersichtliche Zone des Untoten, wird in den Lebenswissenschaften kontrovers diskutiert und stetig fulminant erweitert. Die Forschungen der Biotechnologie, die Überlegungen der Medizinethik, die Errungenschaften der Transplantationsmedizin und die Zögerhilfen der Philosophie wurden an drei Tagen mit den Bildwelten der Popkultur konfrontiert und aufgeladen. An diesen Schnittstellen sammelte der Kongress Erzählungen, Zeichen, Bilder und Chiffren für ein Archiv des Untoten.

Wir modernen Menschen haben Schwierigkeiten, dem Tod einen Ort in unseren Lebensvollzügen einzuräumen. Vielmehr wird das Leben gehegt und gepflegt: Durch präventive Gesundheitspolitik und Optimierungstechniken (chirurgisch, pharmakologisch, maschinell, psychologisch) verlängert es sich, der Tod wird hinausgeschoben, das Sterben immer besser administriert. Und eines steht fest: Wir alle werden in die Situation kommen, zweifelhafte Entscheidungen getroffen zu haben, die uns überfordert haben werden und die sich rechtlich, symbolisch und menschlich auf einem schmalen Grat bewegen. Die verletzlichen Zustände zwischen Leben und Tod müssen täglich betreut, umsorgt, gepflegt und beschützt werden und es ist fraglich, inwieweit Individuen und Gesellschaft diese Sorgearbeit bereitstellen werden können. Wir haben die Eröffnung des Kongresses auf den 12. Mai gelegt, den Internationalen Tag der Pflege.

Es sprachen und präsentierten: GerontologInnen, Theater- und FilmwissenschaftlerInnen, AnwältInnen, PhilosophInnen MedizinerInnen, PflegerInnen, KünstlerInnen. Die Filme und Bilder, die diese drei Tage begleiteten, kamen aus der grellen Popbildwelt der Zombies. Die Ideen der Transhumanisten, der Superkrüppel, der Wachkomapatientenbetreuer, der Postvernünftigen und der Pflegenden wurden in einer Inszenierung der Überforderung und Unübersichtlichkeit simultan erzählt.

Es war ein monströses Nebeneinander, eine Begegnungsstätte des Disparaten. Aber das waren die Zonen und Stalker zwischen Leben und Tod immer schon, auch damals im Jahr 1968, auf das wir uns als historisches Kondensat dreier Ereignisse, die ineinandergreifen und unsere heutige Situation bestimmen, beziehen: Auf die erste Herztransplantation in Südafrika folgte die Entscheidung des Harvard-Komitee in Boston, den Gehirntod als Todeskriterium festzulegen. Vorsitzender war Henry K. Beecher, der in den 50er Jahren die amerikanische Folterforschung beraten hat. In der Villa Schuster, in der Nähe von Frankfurt am Main experimentierte die CIA und hier ist er mit dem Dachauer Naziarzt Walter Schreiber häufiger zum «Erfahrungsaustausch» zusammengekommen. Ebenfalls 1968 kam George Romeros «Night of the Living Dead» in die Kinos und etablierte die B-Movie-Ikone des Zombies als Reflexionsfigur für Gewaltverhältnisse: Krieg, Rassismus und Konsumismus sind Dauerthemen dieser Filme.

Wir nannten dies einen Kongress, aber es war auch ein Spiel mit der Aufmerksamkeit der BesucherInnen und eine Darstellung von Wissenschaftskulturen und spekulativen Fiktionen. Er schloss an eine Inszenierungsform des 19. Jahrhunderts an: Die theatralen Wissenschaftspopularisierungen im Zeitalter des Fortschrittsglaubens. Unter dem Motto: «Wissenschaftliche Erkenntnis als Schock und Erstaunen erfahrbar machen», gestaltete man öffentliche Schauräume, in denen die Aneignung von Wissen zum Moment einer kollektiven Praxis wurde - ein Volkstheater. Damals waren Zweifel und Kritik an der Kontrollierbarkeit von Wissenschaft und Technik und am Aufklärungsgedanken ungeplante Nebenwirkungen: Wir gaben ihnen die ganze Bühne.

Karin Harrasser und Hannah Hurtzig
für die wissenschaftliche Leitung und das Produktionsteam

Das Kongressprogramm als A4-Dokument zum herunterladen: PDF (836KB)

Das gestaltete Programmheft zum herunterladen: PDF (14,2MB)

Übersichtsplan aller Veranstaltungen als A4-Dokument zum herunterladen: PDF (111KB)

I'm dead - small
© "CAT" by David Shrigley, 2007