Das Netz der (Un-)Toten. Tod und Gedenken im digitalen Zeitalter
Der Film basiert technisch darauf, dass die 'mortifizierenden', also still stellenden, Fotos in Serie geschaltet und damit (re)animiert werden. Und die Anhänger des 'Electronic Voice Phenomenon' suchen im Rauschen elektronischer Medien wie Tonband und Radio nach Stimmen aus der Geisterwelt. Auch das Medium Internet hat seine eigene Form der Herstellung von Untoten hervorgebracht. Sie stellt eine Mischung aller vorhergegangenen Bildmedien mit Verwaltungstechniken dar. Probleme der Identität, der Räumlichkeit des Sozialen in digitalen Netzen und der Zeitlichkeit bei begrenzter Haltbarkeit gespeicherter Daten werden angesichts des Todes auf besondere Weise prekär:
Stellen Sie sich vor, Sie akzeptieren eine Freundschafts-Anfrage auf Facebook, fahren den Computer herunter und fallen tot um. Wäre alles Notwendige geregelt? Vielleicht haben Sie irgendwann ein Testament aufgesetzt. Sie haben verfügt, wer Ihre Sparbücher und Aktien bekommt, wer das Tafelsilber und wer den Schuhkarton mit den Familienfotos. Aber was passiert mit Ihrem E-Mail-Account? Wird jemand Ihr Facebook-Profil weiter verwalten? Und wer kennt das Passwort Ihres Twitter-Kontos?
So fragt Martin Helg, Autor eines kürzlich in der Neuen Züricher Zeitung erschienenen Artikels über 'Ewiges Leben 2.0 - Was mit den Daten verstorbener Facebook-Nutzer passiert' [link].
Seit 2009 können daher auf Facebook Angehörige in einem speziellen Formular den Tod eines Nutzers melden [link]. Das entsprechende Facebook Konto wird dann in 'Gedenkzustand' versetzt und Freunde können auf der Seite des Verstorbenen letzte Grüße hinterlassen.
Aber darüber hinaus haben sich auch speziell für das Gedenken der Toten eingerichtete Plattformen entwickelt, die das veränderte Verhältnis einer vernetzten Gesellschaft zum Tod wiederspiegeln. So bietet beispielsweise eine Website der Friedhofs- und Krematoriumsverwaltung in Hong Kong virtuelle Gedenkorte an.
Website des Online-Friedhofs von Hong Kong [link]
Der Kulturwissenschaftler Thomas Macho schreibt zu diesem Thema:
Offenbar brauchen die Toten keine ausgegrenzten Knochenresidenzen mehr. Erinnerung ist ohnehin an keine Friedhofs- oder Grabadresse gebunden. Diese Tendenz wird durch die Errichtung von Gedenkstätten verstärkt, die häufig ohne materielle Präsenz der erinnerten Toten auskommen müssen – und ohne die Aura, die aus dem Zusammenhang zwischen Orten und Ereignissen entspringen kann. Der prototypische Friedhof der Gegenwart ist der Friedhof ohne die Toten: der virtuelle Friedhof, der sich exemplarisch im Internet auszubreiten beginnt. In der Ortlosigkeit der Datenströme haben sich längst die „Halls of Memory“ etabliert, die – überall zu gleich und doch nirgendwo – der Toten gedenken. Zeitliche Ewigkeit wird durch räumliche Reichweite ersetzt.
(Thomas Macho: 'Die neue Sichtbarkeit des Todes. Wie Künste und Medien einem unbeliebten Thema mehr Aufmerksamkeit schenken', In: HUMBOLDT - Die Zeitung der Alma Mater Berolinensis, Nr. 5, 50. Jg, 9. Februar 2006, S. 7. [link])
Ein Fernsehbeitrag auf 3SAT Kulturzeit vom 22.2. diesen Jahres greift das Phänomen der Online-Friedhöfe ebenfalls auf und fragt unter anderem danach, wie sich dabei das Verhältnis von Öffentlichkeit und Privatheit des Trauerns neu gestaltet. ('Sterben im digitalen Zeitalter. Über die Trauerkultur im Internet. Bericht von Dominik Kempf' [link]).
Dem Problem des Nachlebens in der Informationsgesellschaft widmet sich auch das Projekt Mission Eternity des Künstlerkollektivs etoy [link]. Weil Daten z.B. wegen neuer Speicherstandards oder wegen des Verfalls der Datenträger immer davon bedroht sind, irgendwann nicht mehr lesbar zu sein, haben die Mitglieder von etoy ein soziales Netzwerk von Toten und Lebenden geschaffen, in dem die Lebenden, 'Engel' genannt, durch das Kopieren speziell signierter Datenpakete den Toten, den sogenannten 'Piloten', die 'ewige Reise durch Raum und Zeit' ermöglichen. [link]