Karin Harrasser: Herkünfte und Milieus der Cyborgs
In akademischen Kreisen berühmt geworden ist der/die Cyborg aber 25 Jahre später mit Donna Haraways feministisch-sozialistischen Cyborg-Manifest (A Manifesto for Cyborgs. Science, Technology, and Socialist Feminism in the 80ies) von 1985. Donna Haraway greift in ihrem Manifest die Figur des/der Cyborg auf, verwandelt den technisch verbesserten Raumfahrer aber in etwas anderes: In eine Figur, die für die Artifizialität von Körperlichkeit steht, eine Figur die kollektive Natur von Subjektivität ausstellt und die eine Politik der Interkonnektivität (statt eine der Identität und Fraktionsbildung) stark macht. Kurz, sie entwirft in ihrem Manifest die Cyborg als eine Metapher für eine feministisch-sozialistische Politik im Zeitalter der Technosciences. Wie geht das? Wie verwandelt man einen technisch aufgerüsteten, maskulinen Helden des Raumfahrtzeitalters in eine feministische Leitfigur der Informationsgesellschaft?
PHYSISCHE, KOGNITIVE UND AFFEKTIVE ARBEIT
Roboter und künstliche Menschen waren schon lange Zeit lang ideale Spiel- und Projektionsfiguren von Gedankenexperimenten und Zukunftsentwürfen, die sich – utopisch oder dystopisch – mit eine Veränderung des menschlichen Lebens durch Technik befassten. Dies hieß lange Zeit, dass Roboter sich mit den Effekten der Delegation von physischer Arbeit befassten, mit dem Verhältnis von denen, die dachten und steuerten (den Bürgern) und denen die ausführten und aufgrund ihres körperlichen Einsatzes, durch die Vernutzung ihrer Physis ausgebeutet wurden. Am Vorstellungshorizont erschien damit die vollautomatische Fabrik und ihre domestische Variante: das vollautomatisierte Haus mit blechernem Personal. Diese Roboter – ganz im Wortsinn ihres Namens: Arbeiter – waren jedoch mit dem Aufkommen der künstlichen Intelligenz (KI) in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts veraltet, denn nun ging es nicht mehr um die Delegation physischer Arbeit sondern um kognitive Kompetenzen. Die neuen Maschinen hatten nicht nur eine eigene, häufig neurotische Identität, wie HAL in Kubricks 2001 (1969), sie wurden auch Liebesobjekte (so in Anne McCaffreys The Ship Who Sang, orig. 1969, oder in Marge Piercys He, She and It, orig. 1991) oder Subjekte der Revolution (wie inBlade Runner, Ridley Scott, 1982). Die künstliche Intelligenzforschung ließ die Einsatzmöglichkeiten ihrer Trägersubstanzen wuchern: Computer, Androiden und Cyborgs hatten von nun an eine unüberschaubare Produktion utopischer und dystopischer Szenarien im Schlepptau. Das Pathos des Technologischen, das mit dem Zukunftsversprechen zusammenfällt flottierte munter und immer neue semantische Schwärme bildend durch die Populärkultur, affizierte aber auch die Arbeit in Laboren und anderen Zukunfswerkstätten (z.B. am MIT). Die neuen, klügeren, quicklebendigen Roboter und Cyborgs, die seit den 60er Jahren überall aufgetaucht sind, versprachen nicht mehr nur, die Menschen von den zurichtenden Effekten der Lohnarbeit zu erlösen, sondern auch von den Unwägbarkeiten sozialer und sexueller Interaktion zu befreien: Sie leisteten kognitive und affektive Arbeit und sie provozierten auf ihrer Rückseite stets Reflexionen, die um das Thema kreisten, wie vernünftig, wie selbstbestimmt, wie emotional gesteuert, kurz: wie menschlich der moderne, in einem hoch ausdifferenzierten, medial durchwirkten und vernetzten gesellschaftlichen System arbeitende und lebende Mensch denn eigentlich sei. Die Erzählungen liefen damit auf einen Punkt zu, der zeitgleich in der Philosophie und Kulturtheorie an Prägnanz gewann: Michel Foucaults Frage danach, inwieweit „der Mensch“ mit seiner Sonderstellung innerhalb der Evolution nicht als bloße Erfindung der Wissenschaften (vom Menschen) und entsprechender Sozialtechnologien zu denken sei.
KYBERNETIK
Zentral für diese Umdefinition des Maschinellen in Richtung kognitiver und affektiver Arbeit war die Kybernetik. Diese interdisziplinäre Wissenschaft, die sich in den späten 40er Jahren formierte, vertrat einen umfassenden Ansatz zur Analyse und Steuerung (kybernetes: griech. Steuermann) dynamischer Systeme. Programmatisch war in dieser Hinsicht bereits der Titel von Norbert Wieners Buch von 1948: Cybernetics. Or Control and Communication in the Animal and the Machine. Die These, die in den Jahren danach von Wissenschaftlern aus unterschiedlichsten Bereichen (der Ethnologie, der Biologie, der Informatik, der Sprachwissenschaften) verfolgt wurde, lautete, dass sowohl anorganische als auch organische Prozesse im Wesentlichen durch Informationsflüsse und Rückkopplungsprozesse reguliert werden. Dies gälte sowohl für den menschlichen oder tierischen Metabolismus als auch für ganze Gesellschaften und für Kommunikationsprozesse. All diese „Systeme“ wurden selbstregulierend beschrieben: Sie alle bewahrten sich über negative Rückkopplung vor Entropie, auf die alle „natürlichen“ Prozesse zusteuerten. Dieses Verständnis leitet sich einerseits aus der Thermodynamik ab, andererseits aber auch aus einem „biologischen“ Verständnis von Kommunikationsprozessen. Seit den 20er Jahren erforschte die Systembiologie die Rückkopplungsprozessen innerhalb von Organismen (beispielsweise Hormonzyklen) aber auch die Adaptionsprozesse von Lebenwesen mit ihren jeweiligen Umwelten. Die „Cyborgisierung“ war also zunächst ein gedankliches Unternehmen: Man stellte sich Organismen als Kommunikationsmaschinen vor und Kommunikationsmaschinen als Organismen. Und von da ist es nicht weit zur Idee, die Verbindung von Organischem und Maschinellem auch faktisch ins Werk zu setzen. Clynes und Kline hatten in erster Linie Drogen vor Augen, die die Wahrnehmung, den Stoffwechsel und das Temperaturmanagement beim Astronauten positiv beeinflussten. In dem berühmten Paper ist aber auch die Rede davon, dass dies ein spirituelles und evolutionäres Ereignis wäre: Zum ersten Mal, könne der Mensch die die natürliche Evolution beschleunigen und sich so in die Zukunft katapultieren.
EIN HÄRETISCHES MANIFEST
Was interessiert nun eine feministische Biologin und Wissenschaftshistorikerin an den Cyborgs mit ihrem offenkundig militärischen, kontrollverliebten und fortschrittsgläubigen Hintergrund? Donna Haraway greift die Figur zunächst auf, um sich in einer Diskussion zum Status von Wissenschaften in der Gesellschaft einzumischen. Sie führt ihn ein, um einige Paradigmenwechsel in der Technik, die ein Erbe der Kybernetik sind (Vernetzung, Informatisierung, Miniaturisierung, Verstrickung von Bio- und Informationstechnologien) zu thematisieren und zu kritisieren. Und sie verbindet dies mit der Reflexion einer konkreten weltpolitischen Situation: Globalisierung und Outsourcing von Arbeit, Neoliberalismus und die neuen, informationstechnisch aufgerüsteten Kriege sind ihre Themen. Daraus leitet sie Konsequenzen für gesellschaftskritische Ansätze wie den Marxismus und den Feminismus ab: Diese dürften sich nicht technikfeindlich zurückziehen auf eine Utopie der Freiheit von der Verstrickung mit dem Zivilisationsprozess, dem Kolonialismus der Unterdrückung der Fraus, sondern sollten genau aus der Verstrickung heraus operieren.
Der relativ kurze, polemische und polyvokale Text behauptet deshalb, die Unterscheidung von Natur und Kultur sei im Zeitalter der Technosciences längst obsolet geworden; wir alle lebten längst in hybriden Natur-Kulturen. Der Text beschreibt damit aber nicht so sehr eine für die 80er Jahre „neue“ gesellschaftliche Situation der völligen Technisierung der Welt sondern bricht mit einem damals in den Sozial- und Kulturwissenschaften und besonders in der feministischen Theorie gängigen pauschalen Wissenschafts- und Technikkritik. Feministische AutorInnen kritisierten beispielsweise den Zugriff, auf die als passiv gedachten „Natur“ der Frau in Form von Reproduktionsmedizin und Gentechnologie als „patriarchale Herrschaftsmaschine“ (Cynthia Cockburn). Technik galt als von Männern geschaffene und in der Regel gegen Frauen eingesetzte, Ding gewordene Ideologie. Haraway versuchte nun technohumane Hybridisierung, verkörpert in der Figur der Cyborg, als Moment mit Widerstandspotential greifbar zu machen. Es ging ihr darum, angeblich natürliche Gegensätze (wie männlich/weiblich, technisch/natürlich) als Identitätskonstruktion aufzuschnüren und damit die klassen-, rassen- oder geschlechterbedingte Unterdrückung ihrer Grundlage zu berauben. Haraway wurde damit zu einer mitbegründerin des Cyberfeminismus, der auf Vernetzung, Grenzüberschreitung, auf eine Politik der partiellen und temporären Affinitäten und nicht zuletzt auf die Aneignung der digitalen Technologien durch Frauen setzte. Die Technifizierung der Körpers wird in dem Manifest – nicht rückhaltlos aber mit Nachdruck – bejaht und mit der Aufforderung verknüpft, sich die männlichen Technologien anzueignen. Sie empfiehlt den Feministinnen deshalb, die Artifizialität ihres Körpers anzuerkennen, ja noch zu steigern, anstatt eine Politik der Identität (Frauen unterscheiden sich demnach durch ihren anderen, natürlichen Körper von Männern) eine der Vernetzung und Affinität, die niemals „sauber“ ist anzuvisieren. Besonders beeindruckend ist dabei der Abschnitt über Hausarbeitsökonomie, der präzise die Arbeitsbedingungen in der damals erst im Entstehen begriffenen New Economy mit ihren ausbeuterischen Praktiken (z.B. outsourcing von Kommunikation und Fertigung in Billiglohnländer, ihr Beispiel sind die Billigarbeiterinnen, die Platinen löten) analysiert. Haraway sieht also sehr genau, dass die Versprechen der Kybernetiker auf „Selbstorganisation“ und medientheoretische Utopien der Vergemeinschaftung durch die technischen Möglichkeiten der Vernetzung, nicht von allein eine soziale Utopie ergibt. Sie spricht deshalb auch davon, dass die Cyborgs Abkömmlinge des Space Race und des Kalten Krieges seien (so wie sie selbst ein Produkt des Sputnikschocks sei). Ihre Hoffnung gilt jedoch dem Umstand, dass die Cyborgs – wie das bei Bastarden und illegitimen Kindern so ist – ihren Vätern gegenüber untreu werden könnten, dass es also die Möglichkeit gäbe, Gebrauchsweisen von Technologien zu finden, die so nicht vorgesehen waren. Die Bejahung von Artifizialität und Hybridität steht zudem jedem Ursprungsgedanken und jeder Naturalisierung von Geschlecht oder Rasse entgegen. Die Cyborg ist weder das Eine noch das Andere: weder technisch noch natürlich, weder Einzelwesen noch Kollektiv, weder männlich noch weiblich. Aber sie ist mehr als die Summe ihrer Teile und ermöglicht deshalb vielleicht auch neue Sozialformen und politische Praktiken.
IM INTEGRIERTEN SCHALTKREIS EINES NORMALISTISCHEN NEOLIBERALISMUS?
Man kann darüber streiten, ob die Aufforderung, sich die Informationstechnologien anzueignen oder sich in die Technowissenschaften kritisch zu involvieren eine effektive feministische Strategie war und ist, denn beide haben sich unzweifelhaft als wenig resistent gegenüber kapitalistischer und neokolonialer Aneignung gezeigt, mehr noch: Ihnen ist es vielleicht zu verdanken, dass ein neoimperalistischer Kapitalismus sich überhaupt durchsetzen konnte. Ist die Cyborg damit zu einem Emblem der Integration sozialistischer und feministischer Gegenkulturen verkommen? Sind diese Ideen wirklich völlig absorbiert worden durch eine alles durchdringede und dennoch unsichtbare Allianz von Kapital und Technowissenschaften, die individuelle Leben und kollektives Handeln untergründig steuern?
Ich denke die Cyborg in Donna Haraways Manifest bleibt eine interesante (schillernde und unruhige) Figur: Als eine Verköperung und eine Metapher für die Existenzbedingungen in einer von technologischen Akteuren bevölkerten Welt ist sie nicht einfach affirmativ sondern provokant: Die Welt der Cyborgs ist keine gerechtere, schönere, einfachere als die alte Welt der Maschinen und der Patriarchen, sondern eine, in der Konflikte und Ungleichheiten nicht wegerklärt werden können. Das was im neuen Kapitalismus unsichtbar ist, wird mit dieser Figur, so platt sie auch sein mag, gezeigt und ausgestellt. Die Cyborg ist nämlich auch eine „Figur für Erzählmuster“, eine Figur, die sich zudem nicht unbedingt in Form eines Mensch-Maschine-Hybriden zeigt, sondern auch ein Mädchen in einer Psychiatrie sein kann, das sich als Cyborg imaginiert, wie in Park Chan-wooks Film „I’m a Cyborg and that’s ok“ (2006). Dass sich das Mädchen in einer Psychiatrie befindet macht deutlich, dass nicht alle Verhaltensweisen gesellschaftlich gleich bewertet sind, die Selbstdefinition als Cyborg öffnet ihr jedoch Spielräume, sich den normalistische Vorschreibungen gegenüber nicht zustimmend zu verhalten. Die Cyborg ist eine Figur, die es ermöglicht, über das Verhältnis von (Medien)technik und subjektiver Wahrnehmung, über Fremd- und Selbstbestimmung und über die politischen Konsequenzen angeblich „natürlichen“ oder „normalen“ Verhaltens nachzudenken und uns die Welt wie sie angeblich ist, immer wieder neu und anders zu erzählen. Cyborgs bilden deshalb einen Knotenpunkt in einem engen Geflecht, das Public Fictions zwischen Gesellschaft, Wissenschaft und Technik weben, die Übersetzungen zwischen den Bereichen ermöglichen und manchmal gerade duch die Produktion von Übertreibungen und Missverständnissen produktiv werden.
Karin Harrasser ist wissenschaftliche Leiterin des Kongresses und präsentiert zusammen mit Aino Korvensyrjä das Museum der untoten Arbeit.