Georg Seeßlen: ZOMBOKINEMATOGRAFIA
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Was mit Menschen passiert, die nicht richtig leben können, wissen wir.
Zum Beispiel, weil etwas geblieben ist, eine große, ungesühnte Ungerechtigkeit, eine unerledigte Aufgabe, eine Liebesgeschichte. Oder weil die Angehörigen nicht richtig Abschied genommen haben, weil sie am falschen Ort begraben wurden, mit Flüchen belegt wurden, weil ihnen verweigert wurde, den Weg in die Unterwelt, in Himmel oder Hölle, in die ewigen Jagdgründe oder ins Nirvana einzugehen.
In unserer Zeit sind neue Formen des Nicht-richtig-sterben-Könnens dazu gekommen: Apparate, die Menschen am Leben erhalten, obwohl ein wichtiger Teil von ihnen schon gestorben ist, Ersatzteile, die den Todgeweihten retten, entnommen gestorbenen Menschen, so dass sich die Grenzen zwischen Leben und Tod immer weiter auflösen. Ein Zwischenbereich entsteht, einerseits, phantastisch, als populäre Mythologie, als Kino- und Comic-Stoff, andrerseits als technisch-medizinische „Machbarkeit“. Wir nennen es: DAS REICH DER UNTOTEN.
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Jede Religion, jede Mythologie, jede Erzählgemeinschaft hat ihre eigenen Bilder dafür, was in der Zwischenzone zwischen Leben und Tod, zwischen dem nicht richtigen Leben und dem nicht richtig Sterben, passiert. Hier dienen freundliche Untote als Engel dem Austausch zwischen Himmel und Erde, dort treiben weniger freundliche Untote der Hölle neue Seelen zu. Hier kommt jemand als Gespenst zurück, und dort wird einer als Monster wiedergeboren. Hier verwandelt sich einer in eine Menschmaschine und dort setzt sich, dem hysterischen Baron Frankenstein sei Dank, ein lebendes Wesen aus Leichenteilen zusammen. Hoffnungslos in der Minderheit sind dabei die guten Geister (obwohl sie in der „White Fantasy“ sogar ein eigenes Hollywood-Genre besitzen), die meisten Untoten sind ziemlich gefährlich für die Lebenden. Und nur wenige geben sich mit den Seelen zufrieden, die meisten Untoten wollen das Fleisch und das Blut, wie die Vampire und die Werwölfe, die dabei noch dazu irgendein unklar sexuelles Verhältnis zu ihren Opfern haben. Wenn gegen Vampire Knoblauch, Kreuz und Pfahl nichts mehr nutzen, dann hilft immer noch die gute alte Psychoanalyse. Sie machen es mit ihrer reichlich deutlichen Symbolik jedem Salzstangenpsychologen aber auch zu einfach.
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Zombies sind anders. Zombies sind in erster Linie drastisch. Mit Symbolen halten sie sich nicht lange auf. Sie haben keine Ahnung, wer oder was sie sind, warum zum Teufel ihnen nichts anderes übrig bleibt, als auf der Erde herum zu wanken, von einem unstillbaren Hunger auf Menschenfleisch getrieben. Wen sie erwischen, der verwandelt sich ebenfalls in einen Zombie (jedenfalls ist das bei den Zombies der Pop-Neuzeit so), und vernichten kann man sie nur durch ein ebenfalls ausgesprochen drastisches Mittel, man muss ihnen das Gehirn wegpusten, sonst kann man ihnen nichts tun, denn schließlich sind sie ja schon (irgendwie) tot, und ein ausgerissener Arm macht ihnen nichts weiter aus. Zombies kennen keinen Schmerz, kein Zurückweichen, keine Besinnungsaufsätze und kein Fernsehprogramm. Geld interessiert sie auch nicht.
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Das Untote ist eine vergleichsweise neue Form der Existenz zwischen Leben und Tod. Wir wollen das Untote vorerst unterscheiden vom Transzendentalen und vom Dämonischen schlechthin. Es sind weder Emanationen des Himmels noch der Hölle, noch handelt es sich um Figuren, die den ewigen Kampf zwischen Gut und Böse mit immer neuen Masken durchführen, keine Folgerungen der teuflischen Herrschaft wie die Satanskinder in „Rosemary’s Baby“ oder „Das Omen“. Zum zweiten muss es unterschieden werden vom „Halbwesen“, dem bizarren Crossover der Phantastischen Genres: Halb Mensch/Halb Tier (Werwolf), Halb Maschine/Halb Mensch (Robocop, Terminator), Halb Geist/Halb Wesen (Dracula), Halb Engel/Halb Teufel (Hellboy), Halb Frau/Halb Mann, Halb Bild/Halb Wesen (Dorian Gray) undsoweiter, offensichtlich moderne Ableitungen der „Halbgötter“. Aber ein bisschen etwas von allen diesen Monsterformen steckt auch im Untoten noch, auch wenn er, anders als alle anderen, über sich nicht nachdenken und von sich nicht sprechen kann, sich weder verwandeln noch sich maskieren kann. Ein Zombie ist ein Zombie ist ein Zombie. Einerseits.
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Andrerseits: Entweder ist ein Zombie ein Zombie oder er ist irgend was anderes. Das Sinnbild eines revoltierenden Sklaven meinethalben, oder das Abbild eines modernen Menschen, der vor seinem Fernseher verblödet ist. Die Verhältnisse von Körper, Maschine und Bild drehen sich gleichsam verkehrt herum. Die „maschinelle“ Bewegung verweist auf nichts als die Körperlichkeit, das Bild des Zombie verweist auf nichts als --- HUNGER! Zu viel oder zu wenig Dechiffrierung: das Zeichen hat gar keine Lust mehr, etwas zu bezeichnen, denn allein mit dem Vorgang der Bezeichnung würde es wieder (wie der Nachbar, dieser Vampir mit dem umgedrehten Jungfrauen-Tic) das semiotische System der Herrschaft bestätigen. Das hehre Ziel des reinen Zombie ist es, keinen Sinn zu produzieren. Leider gibt es sehr wenige „reine“ Zombies.
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Georg Seeßlen ist wissenschaftlicher Leiter des Kongress und kuratiert zusammen mit Markus Metz das Filmprogramm.