Nicole C. Karafyllis: Biofakte

Der Begriff 'Biofakt' besteht aus der Zusammenfügung von 'Artefakt' und 'bios' (gr.: Leben).
Er ist ein Neologismus, der ein terminologisches Niemandsland besiedeln soll. Als natürlich-künstlicher Begriff bezeichnet er natürlich-künstliche Mischwesen, die durch zweckgerichtetes Handeln in der Welt sind, aber dennoch selbsttätig wachsen können (Karafyllis 2003). Wachstum wird dabei als zentrale Lebenseigenschaft vorausgesetzt. Biofakte wachsen und leben, aber sie tun dies nicht uneingeschränkt um ihrer selbst willen.

Damit ist auch eine These formuliert, die es im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit anzugreifen gilt. Die von Aristoteles prominent vertretene These lautet, daß dasjenige, was wächst, Natur ist. Auch Leben wäre demnach immer Natur. Dasjenige, was von außen bewegt wird, was nicht wächst, kann dagegen als Technik gelten. Diese Unterscheidung zwischen Natürlichem und Künstlichem kommt auch unseren gegenwärtigen Intuitionen entgegen.

Aber gilt das heute, angesichts neuer Techniken wie Zellkultur, Organtransplantation, Reproduktionsmedizin, Gentechniken und computerbasierter Reproduktionstechnik wie der Simulation noch?

Biofakte problematisieren in corpore einen Wachstums- und einen Bewegungsbegriff, der als Unterscheidungsmerkmal zwischen Natur und Technik dienen soll. Denn je nachdem, wie stark man das Wachstum bewußt provozieren, imitieren oder simulieren kann, können derartige Wesen mehr oder weniger technische Anteile aufweisen. Hier besteht Systematisierungsbedarf, der im Rahmen einer Biotechnikphilosophie geleistet werden sollte.

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Biofakte und Artefakte sind beide künstlich geschaffene Entitäten. Biofakte stehen damit als Mittelglied in der Trias 'Artefakte - Biofakte - Lebewesen', die die Polarität zwischen Technik- und Naturhaftigkeit von Entitäten beschreibt. ... Die vormals als außen gedachte Technik wird verstärkt auch nach innen, in die innere Natur des Menschen verlagert. Dabei ist noch ungeklärt, ob diese Verlagerung ins Innere dazu führen könnte, daß wir uns selbst nicht mehr als der technischen Welt gegenüber definieren können, sondern uns als technisch unvollkommenes Biofakt im Vergleich zu den funktional optimierten technischen Artefakten begreifen werden.

 

Der Textausschnitt stammt aus einem Vortrag mit dem Titel 'Biofakte - Die technikphilosophischen Probleme der lebenden Artefakte für die fragile Anthropologie des Menschen', den die Philosophin 2004 auf der Konferenz 'Technik in einer fragilen Welt. Die Rolle der Technikfolgenabschätzung' in Berlin gehalten hat. Eine Kurzfassung dieses Vortrags kann hier heruntergeladen werden.

Nicole C. Karafyllis wird am Samstag 14.5. auf dem Kongress ein Gespräch mit Peter Asaro über Entwicklungen in der Robotik und Biotechnologie führen.