Präimplantationsdiagnostik - Politik auf zellulärer Ebene

Am 14. April 2011 beriet der Bundestag in erster Lesung über eine gesetzliche Neuregelung der Präimplantationsdiagnostik (PID). Dabei geht es nicht nur um die Frage, wann genau embryonale Zellen als menschliches Leben anzusehen und zu schützen sind, sondern unter anderem auch darum, was für Folgen es für eine Gesellschaft hat, wenn sie die Möglichkeit besitzt, nach bestimmten molekularbiologischen Kriterien Geburten zu verhindern.


In der Präimplantationsdiagnostik werden Zellen von im Reagenzglas erzeugten Embryonen – also befruchtete Eizellen, die mit der Zellteilung begonnen haben (4-8-Zell-Stadium) – entnommen und auf genetische Eigenschaften und Besonderheiten der Chromosomen untersucht, bevor entschieden wird, ob der Embryo in die Gebärmutter eingepflanzt wird. So lassen sich beispielsweise Hinweise auf schwere Erbkrankheiten wie Chorea Huntington oder das Risikon einer Tot- oder Fehlgeburt finden.

Nachdem der Bundesgerichtshof im Juli 2010 entschieden hatte, dass das Embryonenschutzgesetz von 1991 die Prämimplantationsdiagnostik nicht verbietet, ist eine Neuregelung dieser Frage notwendig geworden. Es standen drei Gesetzentwürfe zur Debatte, die von einem strikten Verbot der PID bis zu einer Zulassung mit verpflichtender Aufklärung und Beratung reichten.

In einem Gespräch in der Süddeutschen Zeitung vom 12. April tauschten Ulla Schmidt (SPD) und Peter Hintze (CDU) noch einmal zentrale Argumente aus (Das Gespräch führten Charlotte Frank und Nina von Hardenberg: 'Es gibt kein Recht auf ein Gesundes Kind', Süddeutsche Zeitung, 12.April 2011/Nr. 85, S. 6.).
Schmidt argumentiert, dass das Problem schon grundsätzlich darin bestehe, dass mit der PID die Möglichkeit zur Selektion gegeben würde:

Für meine eigene Argumentation ist es aber nicht ausschlaggebend, wann Leben beginnt und ab wann ihm Würde zukommt. Wichtig ist doch, dass hier Leben entstehen soll und dass mit der PID am Anfang dieses Prozesses eine Selektion stattfindet. Ich will nicht, dass wir entscheiden, welches Leben sich entwickeln darf und welches nicht.

Dies sei eben nicht nur eine individuelle Entscheidung, sondern habe weitreichende Folgen für eine Gesellschaft:

So viel Verständnis ich für den individuellen, höchstpersönlichen Fall habe, wir müssen auch bedenken, was wir mit einer solchen Technik auslösen. Wir sollten uns hüten, Türen zu öffnen, deren Weite man nachher nicht mehr eingrenzen kann.

Ganz konkret weist sie zum Beispiel darauf hin:

Wir haben mit dem Schwangerschaftskonfliktgesetz dafür gesorgt, dass es Beratungsstellen gibt. Viele Frauen entscheiden sich mit deren Hilfe auch für ein behindertes Kind. Ich arbeite mit Behindertenverbänden zusammen. Für viele Eltern dort ist es schlimm, dass jetzt darüber gesprochen wird, dass das Leben ihrer Kinder weniger wert ist geschützt zu werden als das anderer. Viele, die mit Down-Syndrom leben, sind heute integriert.

Hintze steht dagegen für eine Regelung, die – unter Bedingungen, die eine Ethikkommission jeweils im Einzelfall zu bestimmen hätte – den Eltern die Entscheidung darüber überlässt:

Wir müssen klar unterscheiden zwischen dem, was der Einzelne für sich für richtig hält und dem, was der Staat mit dem Strafrecht bedroht. Ich halte es für verfassungswidrig, einer Frau mit Strafe zu drohen, wenn sie eine oder mehrere Totgeburten hatte und nun Erkenntnismöglichkeiten nutzen will, die ihr helfen, so ein Martyrium nicht noch einmal zu durchleben. Als Gesetzgeber sind wir rechtlich und moralisch nicht befugt, so stark in die Entscheidung einzugreifen.

Auch die Praxis der PID in anderen Länder zeige, dass es hier um einen begrenzbaren Bereich von Einzelfällen gehen kann:

Ich habe Vertrauen in die Menschen, dass die betroffenen Eltern damit verantwortlich umgehen. Viele Befürchtungen gehen an der Wirklichkeit vorbei. Die PID gibt es seit 20 Jahren. In den Ländern, in denen sie zugelassen ist, ist ihre Anwendung insgesamt selten geblieben und genauso der Mißbrauch. Wir sprechen hier über einen kleinen, stark leidenden Personenkreis. Dem geht es nicht um Designerbabys mit blauen Augen – da werden ja alle möglichen Phantasien bemüht.

Wie auch immer die Entscheidung hier ausfallen wird, das Problem - dass sich gewissermaßen auf der Ebene von Zellen entscheidende Fragen kristallisieren, die Politik, Gesellschaft und sehr individuelle Schicksale betreffen – steht im Raum.

Weiterführende Links:
Informationen des Deutschen Bundestags zur Debatte am 14.04.2011 [link].
Die Bundestagsdebatte zur PID kann online angeschaut werden (als gesamte Plenardebatte [link] und einzelne Redebeiträge [link]).