Ein anderer Posthumanismus: Foucaults Ende des Menschen
Zu den meistdiskutierten (und am häufigsten fehlinterpretierten) Formulierungen Foucaults gehören die vom 'Ende des Menschen'. Voraussetzung zu ihrem Verständnis ist Foucaults Analyse, dass es sich bei 'dem Menschen' als biologisch, medizinisch und rechtlich definierte Gattung um eine historische Wissensfigur handelt, die in engem Zusammenhang mit den modernen 'Wissenschaften vom Menschen', der Medizin, der Biologie, der verschiedenen Gesellschaftswissenschaften, steht. Sprach man also vor dem Entstehen dieses modernen Konzepts am Ende des 18. Jahrhunderts von 'Menschen', meinte man etwas Anderes als im 19. Jahrhundert oder heute. Und entsprechend wird man naheliegenderweise auch in Zukunft, unter geänderten gesellschaftlichen Voraussetzungen, mit anderem wissenschaftlichem und medizinischem Wissen, mit anderen vorherrschenden Technologien, etwas Anderes darunter verstehen.
Stein des Anstoßes ist und war nicht zuletzt Foucaults Beobachtung, dass 'der Mensch' keinesfalls als 'natürliche', immer schon gegebene, unschuldige Instanz genommen werden darf: Im Namen des Menschen und der Menschlichkeit wurden in der Moderne die schlimmsten Verbrechen verübt. Die Konstruktion des Menschen zog notwendigerweise die Definition dessen voraus, was 'noch nicht' oder 'nicht mehr' Menschen sind: 'Untermenschen', rassisch als minderwertig zu klassifizierende, nur scheinbar vollwertige Menschen, die sich im Inneren der Gesellschaften verbergen, sowie auch die radikale (weitere) Abwertung des Tieres im Verhältnis zum Menschen (die erst die industrielle Verwertung dieser Wesen, die einstmals ebenfalls als Kreaturen Gottes gewürdigt wurden, ermöglichte.
Die bekannteste Passage, in der das Ende des Menschen angekündigt wird, steht in Die Ordnung der Dinge: Eine Archäologie der Humanwissenschaften. Es sind die letzten Sätze des 1966 unter dem Titel Les Mots et les choses. Une archéologie des sciences humaines erschienenen Buches (Ersterscheinungsdatum der deutschen Übersetzung 1974).
Hier der genaue Wortlaut:
Der Mensch ist eine Erfindung, deren junges Datum die Archäologie unseres Denkens ganz offen zeigt. Vielleicht auch das baldige Ende.
Wenn diese Dispositionen verschwänden, so wie sie erschienen sind, wenn durch irgendein Ereignis, dessen Möglichkeit wir höchstens vorausahnen können, aber dessen Form oder Verheißung wir im Augenblick nicht kennen, diese Dispositionen ins Wanken gerieten, wie an der Grenze des achtzehnten Jahrhunderts die Grundlage des klassischen Denkens es tat, dann kann man sehr wohl wetten, daß der Mensch verschwindet wie am Meeresufer ein Gesicht im Sand.
Versteht man mit Foucault 'den Menschen' und den Humanismus als historische Formationen – mit allen Vor- und Nachteilen –, deutet sich die Möglichkeit einer gänzlich unheroischen und vergleichsweise undramatischen Form des 'Posthumanismus' an (wie naiv diese prinzipiell offene und erstmal nicht munitionierte und gewappnete Haltung auch immer anmuten mag): weder Technikapotheose noch Apokalypse, weder Erwartung des Übermenschen noch Befürchtung des Untermenschen, weder Cyborg noch Zombie. Sondern die Hoffnung auf eine Zukunft, die 'des Menschen' nicht mehr bedürfen und deshalb mit einigen der schlimmsten Entwicklungen der Moderne gebrochen haben wird.