Flatline 1 - Medium zwischen Leben und Tod im Film

Die Flatline zeigt die Abwesenheit von elektrischen Signalen – Lebenszeichen – des menschlichen Körpers an. Sie ist damit, insbesondere im Film, zu einem Symbol geworden, das an jenen Stellen auftaucht, an denen die Grenzen zwischen Leben und Tod verhandelt werden.

 

So eine Szene haben wohl alle, die Filme oder Fernsehen schauen, irgendwann schon einmal gesehen: Erst piept das Gerät in regelmäßigen Abständen, doch dann geht es in einen kontinuierlichen Ton über. An Stelle wiederkehrender Ausschläge zieht sich nun eine gerade Linie über den Monitor. Flatline. Jemand ist gerade gestorben. Oder noch nicht ganz; hektisch werden dann Wiederbelebungsmaßnahmen eingeleitet, die, wenn sie erfolgreich sind, und das sind sie im Film meistens, im erlösenden, sich wiederholenden Piepsen der Maschine gipfeln.

Wie im Film, der normalerweise von außen auf den Körper blicken lässt, Tod und Sterben, die zunächst einmal im Körper stattfinden, überhaupt gezeigt werden können, ist ein Problem. Charles Scott Combs hat in seinem Buch Final Touches: Registering Death in American Cinema von 2006 [link] darauf hingewiesen. Und umso prekärer wird dieses Problem, wenn mit dem Gehirntod ein Todeskriterium eingeführt wird, das sich den menschlichen Sinnen vollständig entzieht. Seitdem bilden die Tonsignale und Screens von Elektroenzephalografen (EEG, zur Messung der Hirnströme) und Elektrokardiografen (EKG, zur Messung der Herzströme) ein sehr übliches Milieu der Sichtbar- und Hörbarmachung des Todes im Kino.

Wie Hartmut Böhme anhand eines sehr frühen und prominenten filmischen Auftritts der Flatline – 1968 in Stanley Kubricks Science Fiction 2001 – Odyssee im Weltraum – beschrieben hat, lassen sich aber solche Geräte nicht auf die Übertragung von Signalen beschränken, sondern sie bilden Hybride mit den Körpern und übernehmen in dieser Überschreitung des Menschen eine entscheidende Rolle bei der Frage nach Leben oder Nicht-Leben:

An Bord ist ferner ein sechstes Mitglied des Teams, der Superrechner HAL 9000. Drei Astronauten sind in ihren biologischen Funktionen heruntergefahren und liegen im Tiefschlaf, wie ägyptische Mumien kokoniert in einem technischen Sarkophag. Ihre Lebensfunktionen werden vom Computer überwacht, der sie später allerdings abschaltet, also tötet.
Kubrick hat diesen Trend erkannt, parallel zur ersten Herzverpflanzung 1967 und der ersten Hirntod-Definition einer Havard-Kommission 1968 –: in jenen eindrucksvollen Bildern, durch die das erste Mal in der Filmgeschichte der Tod durch Abschaltung des Herz-Nerven-Gehirn-Pakets eintritt. Der Computer HAL trennt die drei Astronauten-Mumien von den lebenserhaltenden Systemen und der Tod tritt unscheinbar, nur durch die flatline dokumentiert, ein. So ist der Tod nicht länger ein biographisches Ereignis, sondern er ist eine Schaltungsfunktion des kybernetischen Mensch-Maschine-Systems. Niemals zuvor war ein derart abstrakter Mord zu sehen. Er wird möglich, weil der menschliche Körper ein Anhängsel computerisierter Environments ist. Dies Faktum ist das wahre Jenseits von Evolutionsbiologie wie Humangeschichte.

(Hartmut Böhme: 'Von Affen und Menschen: Zur Urgeschichte des Mordes', in: Dirk Matejovski, Dietmar Kamper, Gerd-C. Weniger (Hg.): Mythos Neanderthal. Ursprung und Zeitenwende. Frankfurt New York 2001, S. 69-86 [link]. Der entsprechende Filmausschnitt ist hier zu sehen [link].)

In derartigen Ensembles wird die Flatline zu einem Feld von Verhandlungen und des Austauschs aller Beteiligten über den Tod. In Martin Scorseses Bringing out the Dead kommt der Rettungssanitäter Frank Pierce (Nicolas Cage) nicht zur Ruhe. Er sieht sich verfolgt von den Toten, die er nicht retten konnte. Und von einem noch Lebenden, der nicht sterben kann: Ein Mann, den Pierce bei einem seiner Einsätze zunächst wiederbelebt hat, liegt im Krankenhaus im Koma. Immer wieder setzt sein Herz aus und immer wieder wird er reanimiert. Am Ende des Films tötet Pierce den Mann, indem er sich an dessen Stelle an die Monitore und Beatmungsgeräte anschließt und so dessen Leben simuliert, während der Mann sterben kann, ohne dass sich eine Flatline einstellt, die den Alarm und weitere Wiederbelebungsmaßnahmen auslösen würde:

 

 

Filmausschnitt: Bringing out the Dead, USA 1999, R: Martin Scorsese.