Die Zeichen der Leichen [Mark Benecke]

Nichts ist heute so allgegenwärtig wie der Tod.


Abb.: Der Kiminalbiologe Mark Benecke mit mumifizierter Leiche im gerichtsmedizinischen Institut Bukarest (© Mark Benecke)


Jedenfalls im Fernsehen. In Filmen und Serien, aber auch in den Nachrichten und in Dokumentationen wird gestorben, was das Zeug hält. Eine relativ junge Entwicklung sind kriminalistische Serien wie CSI (Crime Scene Investigation). Sprechen tun hier – freiwillig oder unfreiwillig – nicht die Lebenden, sondern die Toten: Leichen und Spuren von Leichen sind die auskunftsfreudigen Zeugen, aus deren Zeugnissen die Detektive der Spezialeinheit Tathergänge rekonstruieren und Täter überführen.

Wie eine Antwort des richtigen Lebens auf den populärkulturellen Trend zur Gerichtsmedizin wirken die Auftritte Mark Beneckes. Gäbe es ihn nicht wirklich, hätte man ihn nicht besser erfinden können: Tätowiert und gepierct, mit ausgeprägtem rheinischem Zungenschlag und einem Faible für Gothic und Vampyrismus, machte der Kölner Kriminalbiologe offenbar seine Obsessionen zum Beruf. Einen Teil seiner praktischen Ausbildung erhielt er in den Straßen New Yorks, wo er mehrere Jahre bei einer Spezialeinheit der Polizei arbeitete. Inzwischen ist er ein rund um die Welt gefragter  Experte auf dem Feld der Todesursacheninterpretation. Zugleich reist er als Vortragender durch die Lande, ist Vorsitzender der Deutschen Dracula-Gesellschaft und bestreitet jeden Samstag eine Radioshow [link].

Beneckes Motto lautet ‚Der Tod ist nicht das Ende’. Bei seinen ebenso unterhaltsamen wie drastischen Präsentationen fallen schon mal Besucher in Ohnmacht, weil sie die Wand füllenden  Nahaufnahmen verschiedener Grade von Verfall und Verwesung nicht ertragen können. Dazu Beneckes detaillierte Aufklärung über wahrscheinliche und mögliche Ursachen der vorgeführten Zustände. Sein besonderes Interesse gilt dabei den Mythen, die sich um Tote und Untote ranken: 'Blutige' Augen und Mundwinkel bei einem Leichnam, die in der Literatur oft als Zeichen gedeutet wurden, dass es sich um einen Vampir handelt, führt er auf die Aktivität einer bestimmten Bakterienart zurück. 'Neue' Haut auf schichtweises Vertrocknen, postmortales 'Nagelwachstum' auf das Schrumpfen durch trocknende Haut. Die weißen Augen und der relativ gute körperliche Erhaltungszustand der Zombies wiederum sei auf teilweise Mumifizierung und nur relativ kurzzeitig mögliche Bakterienaktivität unter sehr trockenen und heißen Bedingungen zurückzuführen. Die Virulenz bestimmter Erzählungen über das Auftauchen von 'Zombies' oder 'Vampiren' in bestimmten Gegenden der Erde, so Benecke, sei ein Beleg dafür, dass es ursprünglich   kulturgeographische Gründe gewesen sein müssen –  konkret: die klimatischen Bedingungen in den Begräbnisregionen –,  die die Untoten ins Leben riefen.  

Bei all dem agiert Benecke nicht pietätlos. Im Gegenteil: Seine ganze Sorge, sein ganzer Respekt gelten den materiellen Überresten der Dahingeschiedenen. Warum sie zu Tode kamen und wie dieser Tod moralisch zu bewerten sei, interessiert ihn dagegen nicht die Bohne. Er betrachtet die Welt der Lebenden durch die leeren Augenhöhlen der Toten – schonungslos und mit der drastischen Präzision des Naturwissenschaftlers. Und belegt damit einmal mehr die Triftigkeit von Dietmar Daths Diktum [link], nach dem Horror und Drastik nicht von romantischen und irrationalen Motiven getragen sind, sondern ganz im Gegenteil als mit unerbittlicher Konsequenz betriebene Aufklärung verstanden werden müssen.

Interviews, Vorträge, Fotos und eine große Zahl weiterer Informationen und Materialien zur Arbeit Beneckes finden sich auf seiner Website: www.benecke.com [link].